Zum Inhalt springen

Stell dir vor, du kannst alles erreichen, was du dir wünschst: Du musst nur wissen, wie du das anstellst. Natürlich reichen Wille und Wissen alleine oft nicht aus – es müssen sich auch die richtigen Gelegenheiten und das richtige Umfeld bieten. Doch stellt sich immer die Frage: Was kann ich aus eigener Kraft leisten und verändern? An welcher Stelle habe ich Einfluss?

Gerade diese Frage wird von Underachievern oft zu negativ bewertet. Viele überkommt der Eindruck, dass sie an ihrer Situation ohnehin nichts ändern können. Wie in meinem Artikel über Underachievement herausgearbeitet, haben Underachiever häufig ein ungünstiges Selbstkonzept, in dem sie ihre eigene Leistungsfähigkeit massiv unterschätzen. Doch meist ist nicht ihre Leistungsfähigkeit das Problem – das Potenzial ist durchaus vorhanden, nur fehlen die Fähigkeiten und manchmal auch die Möglichkeiten, dieses umzusetzen.

Du bist selbst Underachiever oder hast ein Kind, das nicht die Leistungen erbringt, die ihm eigentlich möglich wären? Diese Blogserie hat das Ziel, dir Anhaltspunkte und Methoden zu liefern, diese Fähigkeiten zu entwickeln. Zudem soll der eigene Einflussbereich aufgezeigt werden.

Selbstkonzept des Underachievers

Underachiever haben oft, wie bereits aufgezeigt, ein Problem mit ihrem Selbstkonzept und Selbstwert. Viele fühlen sich als Versager, wären lieber jemand anderes. Sehr häufig würden sie gerne die Leistung erbringen, wissen nur nicht, wie sie das anstellen sollen (lies hierzu meine Artikel über Underachievement und Unterforderung und die Folgen). Oftmals stellt sich die Schuldfrage: Wer ist Schuld daran, dass ich keine Leistung erbringen kann? Bin ich zu dumm? Bin ich zu faul? Ist der Schulstoff sinnlos? Ist der Lehrer schlecht? War es Zufall/Glück/Pech?

Und wenn ich Leistung erbringen kann: Bin ich klug? Bin ich fleißig? Oder hatte ich einfach Glück?

Kausalattribuierung bei Underachievement

Viele Menschen, nicht nur Underachiever, haben Schwierigkeiten mit der sogenannten „Kausalattrubuierung“, der Erklärung der Ursachen des eigenen Erfolgs oder Misserfolgs. Typisch für Mädchen ist beispielsweise das Zurückführen ihres Erfolgs auf ihren Fleiß oder Glück, während sie Misserfolg den eigenen Fähigkeiten zuschreiben. Dadurch halten sie sich für weniger intelligent, als sie wirklich sind. Sie leben, ganz besonders wenn sie erfolgreich sind, in der ständigen Angst, jemand könnte erkennen, dass sie eigentlich nichts können (Hochstapler-Phänomen). Was natürlich Unsinn ist.

Jungen zeigen typischerweise ein anderes Attribuierungsmuster: Ihren Erfolg führen sie auf ihre Fähigkeiten zurück, ihren Misserfolg eher auf Zufall, Pech oder ungünstige Umstände.

Auf den ersten Blick erscheint das typische Attribuierungsmuster der Jungen günstiger zu sein, doch der Schein trügt. Gerade wenn ein Underachievement vorliegt, kann diese Zuschreibung nicht lange gehalten werden. Schlussendlich dient die Zuschreibung des Misserfolgs auf äußere – unveränderbare – Umstände dem Schutz des Selbstwertgefühls. Zwar ist es hier sinnvoll den Selbstwert zu schützen, doch kommt gleichzeitig der Eindruck auf, dass der Misserfolg nicht abwendbar gewesen wäre. Und das ist eben häufig unzutreffend.

(An dieser Stelle sei angemerkt: Natürlich kann das jeweilige Attribuierungsmuster auch beim jeweils anderen Geschlecht vorliegen oder anderweitig bunt durchgemixt sein).

Welches Attribuierungsmuster weist du auf? Wenn du Erfolg hast, bist du dann stolz auf deine Fähigkeiten und deinen Einsatz? Oder schiebst du diesen auf äußere Umstände (der Lehrer hat es gut erklärt, die Fragen waren einfach, Glück gehabt)?

Wenn du einen Misserfolg erlebst, was denkst du, was die Ursachen dafür sein könnten? Schreib es gerne in die Kommentare, sodass wir uns darüber austauschen können.

Realistische Einschätzung

Das Wissen um das eigene Attribuierungsmuster hilft dir dabei, eine realistische Einschätzung vorzunehmen. Es ist wichtig zu wissen, welche Ursachen tatsächlich für einen Erfolg oder Misserfolg vorliegen. Das erlaubt dir, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Ergebnis so zu steuern, wie du es dir vorstellst.

Im Falle von Underachievement wird als Ursache von Misserfolg tatsächlich häufig die mangelnde eigene Anstrengung maßgeblich sein. Mangelnde Anstrengungsbereitschaft ist ein Symptom des Underachievements und hat weniger etwas mit Faulheit zu tun. Vielmehr liegt hier ein tiefgreifendes Motivationsproblem zugrunde, das mehrere Ursachen (auch kombiniert) haben kann.

1. Kein Belohnungseffekt wegen Unterforderung: Die Aufgaben werden als zu leicht erlebt, es fehlt die Herausforderung. Erfolge stimmen uns nur dann wirklich zufrieden, wenn wir uns dafür anstrengen mussten. 

2. Stress wegen Überforderung: Mangelnde Lerntechniken und Arbeitsorganisation

3. Keine Erfolgserwartung – somit auch kein Belohnungseffekt. Gerade wenn das Underachievement schon länger vorliegt. Anstrengungsvermeidung zum Schutz des Selbstwertes. „Ich kann das nicht“, wird zur selbsterfüllenden Prophezeihung. Zu starker Perfektionismus kann das Problem verstärken (lies hierzu meinen Artikel über Perfektionismus).

4. Kein Nutzen, die Tätigkeit wird als sinnlos und als Zeitverschwendung erlebt.

5. Das Thema interessiert einfach nicht, es kann kein Bezug aufgebaut werden. Hier ist wichtig zu prüfen, was dafür die genaue Ursache ist. Das kann durchaus am mangelnden Bezug liegen, manchmal ist es aber auch eine generelle Abwehrreaktion, wenn in diesem Fach schon zu viele Misserfolge geschehen sind.

6. Fremdbestimmung, die Aufgabe fühlt sich aufgezwungen an

Wir sehen also, dass zwar – in diesem Fall – die Ursache für den Misserfolg in der mangelnden Anstrengungsbereitschaft liegt, dieser aber wiederum Ursachen zugrunde liegen, die vom Underachiever selbst nur bedingt beeinflusst werden können und wo er Hilfe und Förderung braucht. Das ist wichtig zu beachten, denn allzu häufig wird dem Underachiever selbst die Schuld für sein Versagen zugeschoben. Doch so einfach ist es bei weitem nicht.

Erkennen, wo wir tätig werden können

Nun stellt sich die Frage, was beeinflusst werden kann und wie. Lernen kann unglaublich viel Spaß bereiten, gerade für die von Natur aus wissensdurstigen Hochbegabten. Jedoch haben viele durch lang andauernde Langeweile und Misserfolge die Lust am Lernen verloren. Niemand kann „motiviert werden“, doch wir können die passenden Bedingungen schaffen, dass die Freude am Lernen wieder kleine Funken schlägt. Wie wir das anstellen – darauf gehe ich nach und nach in dieser Blogserie ein.

Underachievement hat sich über einen langen Zeitraum gebildet. Es braucht Zeit, dieses zu überwinden. Doch es lohnt sich, diesen Schritt zu gehen.

Der erste Schritt: Das Selbstwertgefühl stärken

Zuerst ist es wichtig, dass du dir noch einmal ins Bewusstsein rufst, dass du nicht schuld bist an diesem Zustand. Salopp gesagt: Die Umstände waren blöd und vielleicht hast du auch die ein oder andere blöde Entscheidung in Anbetracht der Umstände getroffen. Weil du es zu dem Zeitpunkt nicht besser wusstest.

Doch das Leben bietet dir Möglichkeiten, dass du es so gestaltest, wie es für dich richtig ist. Ich gebe dir ein wenig Handwerkszeug dafür mit.

Fange klein an und honoriere den Prozess

Viele von uns haben das Problem, dass wir schwer an Langzeitzielen dranbleiben können. Das Lernen zu lernen und vom Underachiever zum Achiever zu werden ist ein Langzeitziel!

Doch wenn wir nicht direkt große Erfolge verzeichnen können, verlieren wir den Mut und bleiben lieber in unserer Komfortzone. Wir widmen uns dann dem, was wir bereits gut können und verschließen die Augen für das, was uns unser Leben an Potenzial bietet.

Daher ist es umso wichtiger, jeden noch so kleinen Schritt zu honorieren. Das Endprodukt mag fern sein, doch du hast bereits heute etwas getan, um deinem Ziel näher zu kommen. Im Grunde machst du dir so jeden Tag ein Geschenk an dein zukünftiges Ich (ja, das ist Selbstliebe).

Vergleiche dich mit deinem „Vergangenheits-Ich“, nicht mit anderen

Ein hochwirksames Mittel, um die eigene Motivation und Tatkraft zu dämpfen, ist sich mit anderen zu vergleichen. Ja, sicherlich gibt es Menschen, die weniger erreicht haben als du, doch ich bin mir sicher, dass du dir direkt diese herauspickst, die bereits sehr viel mehr erreicht haben? Das kannst du gerne tun, um dir diese Menschen als Vorbilder zu nehmen, doch abseits davon schadet dir der Vergleich nur und hält dich davon ab, effektiv deine Ziele zu verfolgen.

Jeder Mensch hat seine Geschichte, die ihn dahin geführt hat, wo er heute steht. Wir können diese Geschichten nutzen, um aus vergangenen Entscheidungen zu lernen, doch bringt es meist nichts, mit sich zu hadern. Im Gegenteil, du raubst dir damit deine Energie, um voranzuschreiten auf deinem Weg in die Zukunft, so wie du sie dir wünschst.

Anstatt dich mit anderen zu vergleichen, schaue jeden Tag, was du dazugelernt hast. Ein wirksames Mittel ist dafür das Tagebuchschreiben. Wenn du dafür, wie ich, zu faul bist, lasse abends einfach kurz vorm Einschlafen den Tag Revue passieren und überlege, was du alles gut gemacht hast. Diese Technik hat gegenüber dem Tagebuchschreiben allerdings den großen Nachteil, dass wir schnell abschweifen und uns auf das konzentrieren, was uns nicht gefällt. So könnte dir diese Technik eine schlaflose Nacht voller Grübelei bescheren. Sollte das bei dir der Fall sein, so rate ich dir dringend dazu, lieber in das Tagebuch zu schreiben. Nimm dir dafür eine klare Aufgabenstellung, wie z. B.:

„Nenne 5 Dinge, die du heute richtig gut gemacht hast“, oder „Nenne 10 Dinge, die du heute gelernt hast“.

Auch immer schön: Schreibe dir eine Liste für das, wofür du dankbar bist in deinem Leben. Oftmals konzentrieren wir uns zu sehr auf das, womit wir uns im Mangel fühlen, anstatt das zu sehen, was wir bereits haben.

Tagebuchschreiben hilft dir, Klarheit in deine Gedanken zu bekommen

Es hilft dir, wenn du dich mit den positiven Seiten deines Lebens beschäftigst, weil dir das die Energie gibt, die Bereiche deines Lebens kraftvoll anzupacken, wo du noch Verbesserungspotenzial siehst. Wir denken immer, dass uns ständiges Grübeln und Hadern zu irgendeiner Lösung bringen können – doch das ist nicht der Fall. So verständlich beides oft ist: Es ist eine Zeit- und Energieverschwendung.

Kompetenzgefühl aufbauen

Die gute Nachricht: Je häufiger du Erfolg hattest, umso leichter wird es dir in Zukunft fallen, weitere Erfolge zu generieren (und es geht immer schneller: Deine Lernkurve verläuft nämlich exponentiell). Dabei ist es wichtig, dass du dir genau anschaust, wo du gerade stehst. Vielleicht sind es erst ganz kleine Erfolge, doch mit der Zeit kannst du dich immer weiter steigern. Viele verlieren jedoch die Motivation, weil sie ihre Erfolge zu geringschätzen und somit nicht stolz sein können. Hier helfen dir zwei Gedanken:

1. „Ich akzeptiere, wo ich gerade stehe. Ich muss meine Situation nicht gutheißen, doch ich nehme die Situation so an, wie sie ist. Denn nur so kann ich etwas daran ändern.“

2. „Was wäre, wenn ich nur einen Tag der Meinung bin, dass mit mir alles in Ordnung ist. Was wäre, wenn ich heute einfach mal stolz bin und mich über meinen Fortschritt freue?“

Methoden nachlernen

Wie funktioniert das Lernen? Viele Hochbegabte und überdurchschnittlich Begabte mussten sich in der Schule kaum anstrengen – ihnen fielen die Erfolge einfach zu. Das ist anfangs toll, doch wird beim Übergang in die weiterführende Schule, in die Oberstufe oder spätestens im Studium zum Problem, weil die notwendigen Arbeitstechniken nicht erlernt wurden. Das Lernen kann so nicht systematisch erfolgen, wodurch die Betroffenen immer unter ihren Möglichkeiten bleiben. In den folgenden Artikeln stelle ich einige hilfreiche und effiziente Lerntechniken vor, die Zeit sparen und vielfach erprobt sind. Mit den richtigen Lerntechniken können Erfolge schneller erzielt werden und wir umgehen die üblichen Probleme wie beispielsweise das Bulimielernen, bei dem sich in kürzester Zeit mit Wissen vollgefressen wird, nur um es dann in der Prüfung auszukotzen (und danach restlos zu vergessen).

Ausblick

Lernen kann gelernt werden. Motivation und Anstrengungsbereitschaft können sich entwickeln, sofern wir den Prozess und die kleinen Schritte honorieren. In den folgenden Artikeln erhältst du fundierte Beiträge über das Phänomen Underachievement, aber auch Tipps und Tricks zu Lerntechniken und Arbeitsorganisation.

In Teil 2 sprechen wir über die intrinsische/extrinsische Motivation und klären die Frage, wie sich Unterforderung auf die natürliche Wissbegier der Hochbegabten auswirkt.

Literaturverzeichnis







Mehr davon?

Underachievement

Motivation. Und was tun, wenn sie sich nicht blicken lässt? 

Prokrastination – und wie man sie überwindet