Als höchstbegabt gilt, wer einen IQ von mindestens 145 vorweisen kann. Von 1.000 Personen erreicht eine einzige einen so hohen IQ. Daher verwundert es auch nicht, dass zum Thema Höchstbegabung die Forschungslandschaft bislang eher dünn ist.
Höchstbegabung und Einsamkeit
Für Höchstbegabte werden besondere Belastungen diskutiert, wobei auch hier die Belastungen nicht alleine aus der Intelligenz erwachsen, sondern ein Zusammenhang zu mangelnder Unterstützung und Förderung durch die Umwelt besteht. Höchstbegabte in nicht unterstützenden Umfeldern neigen eher als moderat Hochbegabte dazu, die Begabung zu verstecken, fühlen sich einsamer, berichten häufiger über Schwierigkeiten, Freunde zu finden (Grossberg & Cornell,1988; in Preckel & Vock, 2021) und haben es schwerer, sich in soziale Gefüge einzupassen (Lackner, 2014).
Auch die Forscherin Leta Hollingworth (1942; in Brackmann, 2020) zeigt auf, dass Höchstbegabte im Gegensatz zu moderat Hochbegabten ein höheres Risiko aufweisen, sich entfremdet zu fühlen. Für Höchstbegabte ist es daher besonders wichtig, dass sie Kontakte zu Gleichbegabten knüpfen können. Höchstbegabte, die diese Gelegenheit nicht bekommen, waren verstärkt auf sich selbst zurückgeworfen und zogen einsame intellektuelle Beschäftigungen vor (Hollingworth, 1975; in Brackmann, 2020).
Höchstbegabung und schulische Unterforderung
Weiterhin sind Höchstbegabte einem noch höheren Risiko der schulischen Unterforderung ausgesetzt, was zu weitreichenden Folgen für die Lernfähigkeiten, den Aufbau der Motivation und emotionalen Problemen führen kann (Lehwald, 2017) → Mehr dazu: Underachievement und Unterforderung und die Folgen
Brackmann (2020, S. 35) sagt hierzu: „Je stärker also die Akzeleration und je mehr Kontakte zu Gleichbegabten, umso mehr Lebenszufriedenheit, beruflicher Erfolg, akademische Laufbahnen, bessere soziale Beziehungen und umso stabiler das Selbstwertgefühl bei Höchstbegabten.“
Mit passender Unterstützung und Förderung (z. B. durch das Überspringen einer oder mehr Schulklassen) entwickeln sich aber auch Höchstbegabte überwiegend positiv. So sind sie akademisch oft sehr erfolgreich, führen stabile Beziehungen und sind mit ihrem Leben sehr zufrieden (Gross, 2006; Lubinski & Benbow, 2000; in Preckel & Vock, 2021).
Merkmale Höchstbegabung
Wer sich mit dem Thema Höchstbegabung beschäftigt, wird kaum um das Werk „Extrem begabt“ der Psychotherapeutin Andrea Brackmann herumkommen. In ihrem Buch beschreibt sie einige Merkmale, die sie selbst und andere Fachleute bei höchstbegabten Menschen beobachten konnten. „Hochbegabte wissen die Antworten auf alle Fragen – Höchstbegabte stellen die Antworten infrage. Hochbegabte sind aufmerksam und konzentriert, wenn eine Aufgabe sie interessiert – Höchstbegabte sind mental und physisch völlig davon absorbiert. Hochbegabte können sich gut Fakten merken und gehen logisch vor – Höchstbegabte finden Lösungen scheinbar eher intuitiv.“ (sinngemäß nach Jacobsen, 1999; Brackmann, 2020).
Merkmale Höchstbegabter nach Brackmann (2020)
– außerordentliches Gedächtnis, das oft an Ereignisse vor dem dritten Lebensjahr heranreicht
– emotionale Reaktionen auf abstrakte Konzepte, z. B. Werden Zahlen mit Gefühlen verbunden, die Schönheit einer Theorie wird gefühlt
– Konstruktion und Bedeutung, früher Drang schlüssige Muster und Bedeutung zu suchen
– das Einfache ist komplex, mit Schwierigkeiten, Informationen, die sie aufgenommen haben, der Reihe nach aufzubereiten (z. B. „Was macht ein Doktor?“ – kann auf Frage keine Antwort geben, weil es so viele verschiedene Arten von Ärzten gibt, die alle völlig unterschiedliche Dinge tun)
– verlangen nach Präzision und dem Korrigieren von Fehlern
– das Komplexe ist einfach, weil Höchstbegabte Dinge oft erst dann verstanden haben, wenn sie die darunterliegenden Muster erfassen. Dann benötigen sie auch kaum noch Übung
– abstrakt-logisches Denken im frühen Alter, z. B. erkennen sie Logikfehler in Büchern schon als Zweijährige
– erfassen elementarer Konzepte, z. B. durch das Erlernen mehrerer Sprachen, um herauszufinden, ob es so etwas wie eine Ursprache gibt und welchen Regeln sie folgt
– projektive Identifikation, so können sich Höchstbegabte sehr früh in Personen, Objekte und Prozesse hineinversetzen (was zu einer starken Empathie führen kann – aber nicht zwangsläufig muss)
– non-lineares Denken, d. h. es wird nicht Schritt für Schritt und der Reihe nach gelernt. Stattdessen erfolgt das Lernen, indem rasch eine große Menge an Informationen aufgenommen wird, die dann in eigene Gedankensysteme integriert werden
Beratung bei Höchstbegabung
Ich werde immer wieder gefragt, ob ich auch Höchstbegabte berate. Antwort: Ja. Die Arbeit mit Menschen im IQ-Spektrum von 145 bis 160 und darüber hinaus ist mir durchaus vertraut. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung und meines tiefen Verständnisses der speziellen Herausforderungen, mit denen Menschen in diesem Bereich konfrontiert sind – von einer schnellen kognitiven Verarbeitung bis hin zu komplexen inneren Konflikten – fühle ich mich in der Lage, sie auf ihrem Weg zu begleiten. Dabei geht es weniger um konkrete Zahlen, sondern vielmehr darum, die besonderen Erlebnisse und Denkstrukturen nachvollziehen zu können. Passenderweise wird die Beratung ergänzt durch eine Potenzialanalyse.
Literatur
Brackmann, Andrea (2020). Extrem begabt. Die Persönlichkeitsstruktur von Höchstbegabten und Genies. Klett-Cotta.
Lackner, Maximilian (2014). Talentmanagement Spezial (2. Aufl.). Springer-Gabler.
Lehwald, Gerhard (2017). Motivation trifft Begabung. Hogrefe.
Preckel, Franzis; Vock, Miriam (2021). Hochbegabung. Ein Lehrbuch zu Grundlagen, Diagnostik und Fördermöglichkeiten. Hogrefe.
Interessante kostenlose Ressourcen zum Thema Höchstbegabung für dich
Publikationen der Diplompsychologin Christina Heil: https://www.psychotherapie-heil.de/publikationen/
Blogartikel (englische Sprache): https://michaelwferguson.blogspot.com/p/the-inappropriately-excluded-by-michael.html